Dass sie mit wissenschaftlichem Namen „Chelonia mydas“ heißt, weiß sie nicht und es interessiert sie auch nicht wirklich. Man nennt sie allgemein einfach grüne Meeresschildkröte oder auch Suppenschildkröte.
Woher der Name kommt, ist unschwer zu erraten – nicht nur die Schifffahrer in der Mitte des letzten Jahrhunderts nutzten sie, eingepfercht in engen Kisten, als lebenden Schiffsproviant auf langen Seefahrten.
Später wurde sie sogar zur Delikatesse „erhoben“, was ihre Vorfahren und sie selbst an den Rand der Ausrottung brachte.
Denn nicht nur das Fleisch der Schildkröte stand hoch im Kurs; ebenso erfuhren die Eier ihres Geleges eine hohe Nachfrage – genau wie die Produkte, die aus ihrem Panzer – dem Schildpatt – hergestellt wurden.
Heutzutage wird sie durch das Washingtoner Artenschutz-Abkommen streng geschützt und offiziell halten sich die ratifizierenden Länder auch an das Abkommen.
Dennoch kommt es immer wieder vor, dass ihre Artgenossen noch heute illegal geschlachtet und verzehrt werden.
Die Kontrollbehörden sind oftmals in ihrem Handlungsspielraum gesetzlich als auch geographisch eingeschränkt und so finden in abgelegenen Regionen immer wieder Wilderei statt, die den Verwandten der „Grünen“ den Garaus machen.
Gründe der schwindenden Population
Aber das allein ist nicht das größte Problem, das dazu geführt hat, dass weltweit der Bestand der grünen Meeresschildkröten auf gerade mal 200.000 Tiere geschätzt wird: Ein großes Problem sind die modernen, hochtechnisierten Fischfangmethoden.
Als Jungtier wäre sie um ein Haar fast verendet, als sie sich in den Weiten des Ozeans auf der Suche nach ihrer bevorzugten Beute, einem kleinen Kalmar, in den Haken einer Langleine verbissen hatte. Die Verlockung war zu groß, an der langen, hakenbewehrten Schnur, hingen fein säuberlich aufgereiht, kleine Kalmare, deren Duft sie weithin mit ihren feinen Sinnen wahrgenommen hatte. Sie konnte ihrem Drang nicht widerstehen und biss an. Als sich der schwere Haken in ihrem Gaumen treibt stellt sie mit wachsender Panik feststellt, dass nicht allein das ihr größtes Problem ist, sondern die Tatsache, dass sie von einer großen Kraft kontinuierlich unter Wasser gezogen wird und droht, zu ertrinken.
Sie beginnt den Kampf ihres Lebens: Sie dreht und wendet sich, reißt mit der ihr zur Verfügung stehenden Kraft an dem Haken, der sich schmerzvoll immer weiter in den Gaumen treibt. Und zu all dem Übel drückt sie die Strömung immer wieder unter die Wasseroberfläche und ihre Lungen laufen Gefahr, voll Wasser zu laufen.
Mit ihren noch jungen 8 Jahren hat sie die Geschlechtsreife noch nicht erreicht und wäre um ein Haar ums Leben gekommen. Doch irgendwie schafft Sie es, den Haken mit einer letzten Kraftanstrengung aus ihrem Gaumen zu lösen und sie schwimmt mit ein paar kräftigen Flossenschlägen an die Wasseroberfläche, wo sie lebensnotwendigen Sauerstoff in ihre Lungenflügel pumpt.
Einige Minuten treibt sie dort vor sich hin und schnappt nach Atem und erholt sich schließlich von dem Schreck.
Als sie sich beruhigt hat, sucht sie sich eine geeignete Strömung, die Sie vom indischen Ozean ins Rote Meer tragen soll.
Sie hat noch einmal Glück gehabt und ist mit dem Leben davon gekommen – anders als 2 ihrer Brüder, die im Indischen Ozean in den Netzen eines Taiwanesischen Fishtrawlers als „ungewollter“ Beifang verendet sind.
Rückkehr nach Abu Dabab
Jahre später – sie ist inzwischen 35 Jahre alt und längst nicht mehr das unerfahrene Jungtier, das sie einstmals war – begibt sie sich wieder auf den Weg ins Rote Meer, wo sie auf der Suche nach den letzten Seegraswiesen die Küstenbereiche des südlichen Ägyptens abtaucht. Während Sie als Jungtier noch nach Kalmaren, Schnecken und Quallen Ausschau gehalten hat, bevorzugt sie inzwischen nur noch vegetarische Kost: Seegras, Tang und Algen, das ist die Nahrung, die ihr nun vorschwebt.
Immer weniger Seegraswiesen
Es gab sie früher zuhauf – die großflächigen Seegraswiesen. Doch wo küstennah Hotelzentren entstehen, sterben die Seegraswiesen ab; teils durch Versandung beim Bau der großen Hotelanlagen, teils durch Verschmutzung durch Abwässer. Nicht nur die grüne Meeresschildkröte leidet unter den zurückgehenden Seegraswiesen – auch der Dugong, der ägyptische Verwandte der karibischen Manatees, findet in seinen angestammten Regionen kaum noch Nahrungsangebot.
Aber die „Grüne“ weiß, wo sie zu suchen hat.
Auf dem Weg zu ihrem Fressrevier kommt sie an der Quallenbucht vorbei. Als Jungtier war sie oft hier, um ihren Bedarf an tierischem Protein zu decken. Mit ihrer Körpergröße von knapp 1,40 Meter und einem Gewicht von 135 kg braucht sie keine tierischen Proteine mehr. Nein, es zieht sie zu den Seegraswiesen bei Marsa Alam, genauer gesagt in der Bucht bei Abu Dabab.
Dort wird sie wahrscheinlich nicht nur auf die zwei anderen Artgenossen treffen, die mit ihr um die Büschel salzigen Seegras konkurrieren, sondern möglicherweise auch auf den selten anzutreffenden Dugong, der hier in der Bucht ansässig ist. Einerseits empfindet die grüne Meeresschildkröte so etwas wie Freude bei dem Gedanken, die anderen Schildkröten wieder zu sehen.
Auf der anderen Seite macht sie sich Sorgen, wie lange die nicht gerade üppigen Weidegründe für die 3 großen Meeresschildkröten und den Dugong noch ausreichen werden.
Unruhe an der Wasseroberfläche
Als sie die Bucht von weitem entdeckt, kann sie das Seegras fast schon riechen und schmecken. Ihre für das Leben im Wasser angepassten Sinne, helfen ihr, den Platz jedes mal wieder zu finden. Und auch dieses Mal scheint ihr das zu gelingen.
Doch dieses Mal ist irgend etwas anders.
Vielleicht liegt es daran, dass sie schon während der Mittagszeit ankommt und nicht erst in der Nacht: Die Sonne steht noch hoch über dem Horizont. Aber es ist nicht der Lichteinfall, der sie irritiert. Es ist ein lautes andauerndes Klatschen und Platschen, das sie akustisch wahrnimmt.
Als sie näherschwimmt, nimmt sie hektische Bewegungen an der Wasseroberfläche war. Eine vorsichtige Neugier treibt sie an und sie entdeckt auf der Seegraswiese den großen Dugong mit seinem typischen Sichelmond-Schwanz.
Die Sonne reflektiert sich auf der blassen Haut des Tieres und die Bewegungen der Wasseroberfläche werfen hektische Schatten auf den breiten Rücken der Seekuh.
Und da entdeckt die Schildkröte die Ursache für die irritierenden Geräusche und Bewegungen: Es sind Menschen an der Wasseroberfläche. Unglaublich viele Menschen, die mit Beinen und Armen strampeln, um sich über Wasser zu halten.
Sie kommen alle vom Badestrand des angrenzenden Hotels. Irgendjemand muss wohl den Dugong auf dem Meeresgrund entdeckt und darauf aufmerksam gemacht haben. Nun hat sich der hoteleigene Strand nahezu geleert und ist ins Wasser geeilt, um die Meeresattraktion in Augenschein zu nehmen.
Immer wieder tauchen einige der Badenden ab, um den Dugong aus der Nähe zu betrachten. Das Tier ist geradezu eingekesselt und auch zur Wasseroberfläche hin ist kein Platz, um Atemluft zu holen.
Die Schildkröte zuckt zusammen, als über ihr ein Schnorchler hinwegrast in Richtung Dugong. Das laute Platschen der Flossenschläge hat sie verstört und die Menschenmassen, die diesseits ihres Sichtfeldes an der Wasseroberfläche tanzen und toben, beunruhigen sie zusehends.
Nein, Ruhe wird sie hier keine finden und so zieht sie hungrig und erschrocken weiter auf der Suche nach den dahinschwindenden Seegraswiesen – vielleicht findet sie noch eine abgelegene Bucht, in deren Nähe sich noch keine vor Zimmern nur so strotzende Hotelburg niedergelassen hat.