Als ich vor Kurzem das Vergnügen hatte, einige Zeit auf den Malediven auf Reethi Beach im Baa-Atoll verbringen zu dürfen, erlebte ich etwas wirklich Bemerkenswertes.
Während ich mich über die Sichtung eines juvenilen Hais erfreute, erschraken andere Beobachter am Ufer über den kleinen Raubfisch.
Zurück vom Tauchgang mache ich einen kurzen Spaziergang um das kleine Eiland: Nach kaum 20 Minuten habe ich die Insel umrundet und erreiche den Strand vor meinem Bungalow, der sich – den Malediven gebührend – mal wieder als paradiesisch erweist: Feinster weißer Korallensand, ein echter Hingucker mit smaragdgrünem Wasser und einer langgezogenen Sandbank, die sich zum Drop-off hin gemächlich absenkt. Ohne Probleme kann man 100 Meter ins Wasser waten, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Absolut traumhaft… herrlich… eine echte Hochzeitskulisse… perfekt.
Was noch traumhafter ist, ist das pralle Leben, das sich gelegentlich in eben diesen seichten Bereichen der Uferzone tummelt. Aber dazu später.
Fischschule in der Uferzone
Ich strecke also gemütlich meine Füße in die Untiefen und lasse den Blick gechillt über die sanften Wellen gleiten, die das laues Lüftchen vom Meer an unseren Strand heranweht. Nun, von echten Wellen kann nicht die Rede sein, aber ja, die kleinen Wellenkämme schaffen es dann doch, sich am höchsten Punkt zu brechen.
Ich döse mit offenen Augen und entdecke einen langgezogenen großen dunklen unförmigen Fleck im Uferbereich, der sich vom smaragdgrünen Wasser abhebt. „Eine kleine Korallenbank“, denke ich so bei mir, als ich eine vermeintliche Bewegung entdecke. Optische Täuschung, Sonnenreflektion, egal, ich lass den Blick weiterschweifen und gähne von der vorherrschenden Opulenz Schönheit der Natur ermüdet.
Als mein Blick wieder in Richtung der „Sinnestäuschung“ zurückkehrt, glaube ich zu erkennen, dass sich Form und Position verändert haben. Ich blinzle und versuche meine etwas müden Augen zu fokussieren, und ja, die optische Täuschung bewegt sich tatsächlich. Ich wate durch das Wasser näher heran und entdecke einen Schwarm Jungfische in Großformation. Wie viele Exemplare es sind, lässt sich nicht mal erahnen – zumal die Tiere so dicht zusammendrängen, dass einzelne Tiere nicht auszumachen noch erkennbar sind. Mein Kopf versucht sich mit irgendwelchen komplexen Hochrechnungen und scheitert dann unter der Einwirkung der maledivischen Mittagshitze jämmerlich.
Die Sonne knallt mir auf den Schädel und lässt die Synapsen dampfen. Ich verwerfe den Gedanken, die Zahl der Fische mathematisch erschließen zu wollen und konzentriere mich mit verzücktem Grinsen wieder auf den Pulk im Uferbereich. Ich versuche, mich vorsichtig heranzuschleichen. Jedoch spüren die Fische die Druckveränderung im Wasser, die sie mittels ihres Seitenlinienorganes wahrnehmen. Oder sie sehen mich oder riechen mich. Wie auch immer: Jeden Schritt, den ich auf sie zugehe, weichen sie aus, die Distanz perfekt haltend.
Ärgerlich auch: Ich habe keine Maske dabei, sodass ich mir das Treiben auch nicht unter Wasser ansehen kann. Egal, das Ganze ist auch so ein Spektakel, das mich in seinen Bann zieht.
Solange ich mich nicht bewege, passiert nichts, der Schwarm steht in sicherem Abstand zu mir – anscheinend gibt es hier Nahrungsangebot oder Schutz vor Fressfeinden, denn ansonsten gibt es keine vernünftige Erklärung, warum die Tiere hier formiert Rast einlegen.
Plötzlich ein leises platschendes Geräusch im Wasser ganz in der Nähe, gerade noch kann ich aus dem Augenwinkel Wasser spritzen sehen. Mehr ist nicht erkennbar, da prescht schon der Fischschwarm auseinander, dreht eine gekonnte Pirouette in die jeweilig entgegengesetzte Richtung, um sich dann pfeilschnell wieder zu vereinen. Den Grund für das hektische Geschehen kann ich mir fast schon zusammenreimen, aber sehen kann ich ihn nicht.
Jetzt ein lauteres Platschen in meinem rechten Blickfeld, wieder spritzt Wasser und wieder habe ich nichts entdecken können. Der Verdacht erhärtet sich, als der Schwarm wieder wild hin und her schießt. Einige Fische verlieren kurzzeitig den Anschluss an den Schwarm und kehren hektisch wieder in Reih und Glied, während von hinten ein etwa 50 Zentimeter langer Schatten an den Nachzüglern vorbeischießt.
Junghaie jagen nach Beute
Der Schatten beschleunigt, es kommt wieder Unruhe in die Reihen der Fische und unter Wasser kreuzt der Schatten den Weg eines weiteren Schattens, als eine kleine über weiß nach schwarz auslaufende Rückenflosse die Wasseroberfläche durchtrennt. Ich starre begeistert und ein wenig fassungslos zugleich auf die Wasseroberfläche und entdecke nun auch den zweiten Schatten wieder: 2 junge Schwarzspitzen-Riffhaie, die sich wie zur gemeinsamen Jagd verabredet haben, rücken den Myriaden Jungfischen, die bis vor wenigen Minuten noch friedlich dahingedümpelt sind, auf den Leib.
Fantastisch, meine Begeisterung kennt keine Grenzen und ich versuche keine freudigen Luftsprünge zu machen ob des aufregenden Naturspektakels, das sich mir bietet. Ich drehe mich in Richtung Bungalow und rufe meinem Tauchbuddy zu: „Torsten, hier sind Haie!“.
Torsten bronziert gerade seinen Astralleib in der erbarmungslosen Sonne und scheint über seinem Buch eingenickt zu sein – keine Antwort. Da entdecke ich die weißen Kopfhörer in seinen Ohren, die unter dem rhythmischen Wummern treibender Bässe seine Gehörgänge beschallen und meine zarten Rufe offensichtlich nicht durchlassen. Ich erhebe meine Stimme und rufe erneut: „Da sind junge Haie da im Wasser!“
Ich brülle lauter, ein Frevel an dieser Oase des Friedens und der Stille, aber vor lauter Aufregung vergesse ich den guten Ton und alle Sitten und blöke dermaßen laut, dass selbst mein musikbedröhnter Tauchfreund mit leicht gereizter Miene und deutlich sonnenverbrannter Haut (ich muss ihn unbedingt darauf hinweisen, mehr Lichtschutzfaktor aufzutragen) zu mir von seinem Liegeplatz aufschaut.
„Torsten, kuck mal, da sind jagende Haie im Wasser“, rufe ich immer noch gleichbleibend laut aus, obschon Torsten mich deutlich mit einem Ohr verstehen kann. Es kommt Bewegung in seine bisweilen trägen Muskeln und mit ungeahnter Behändigkeit schnellt Torsten von seinem Liegeplatz hoch.
Er hat mein mir hysterisches Gekreische wahrgekommen, wie auch die Botschaft, die ich in den heißen Strandtag hinausgeplärrt habe. Andere anscheinend auch.
Was mich begeistert, scheint andere zu schrecken
Ja, nicht nur Torsten hat meine Schreie vernommen: Eine aufgeregte junge Mutter stürmt wild aufgescheucht auf ihr im Wasser spielendes Kind zu. Die hektischen roten Flecken in ihrem Gesicht, könnten von der Sonne kommen. Aber… nein, von der Sonneneinstrahlung wäre die Färbung sicher gleichmäßiger in ihr Gesicht gebrannt.
Ich schaue auf Torstens krebsroten Rücken. Nein, zweifelsfrei sind das hektische Flecken in Mom’s gestresstem Gesicht. Ich starre wieder zurück auf die junge Mutter: Die deutlich erkennbare Heimatblässe ihrer nicht allzu weit zurückliegenden Anreise bestätigt meinen Verdacht: Hektisch Flecken.
Sie wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu und schnaubt mich an: „Erzählen Sie doch keinen Schwachsinn!“. Ich begreife zunächst nicht, doch dann schaffen meine von Sonneneinstrahlung sengenden Synapsen, ihre Worte logisch zu verknüpfen und ich erwidere entflammt vor Euphorie „Doch, doch wirklich, da sind kleine Haie dort im Wasser!“.
Hektische Flecken im Gesicht der erregten Mutter
Ihr Blick wird noch finsterer. Sie grummelt irgendwas Unverständliches, stampft weiter auf das inzwischen auf Muttern aufmerksam gewordene Kind mit den rosa Schwimmflügeln zu. Von der Unterlippe des Kindes seilt sich in Zeitlupe ein Sabberfaden ab, das Mädchen blickt erschrocken seine Mutter an. Schon hat diese den Arm des Kindes gepackt und zerrt die Kleine hinter sich her, ohne zu vergessen, mir noch einen vernichtenden Blick zuzuwerfen.
Ich verstehe nicht ganz warum, erinnere mich aber an einige antike Sagen, in denen Überbringer schlechter Botschaften schon mal mit Bestrafung rechnen mussten.
Bei dem kleinen Mädchen scheint die anfängliche Erschrockenheit einem nicht unbeachtlichen Zorn gewichen zu sein, denn sie brüllt auf einmal wie am Spieß und versucht sich gegen die Zugkraft der Mutter zu stellen – ich blicke irritiert dem Treiben hinterher und bedauere das Kind für einen kurzen Moment, dann erinnere ich mich des wütenden Blickes der Mutter und wende rasch den Blick ab, bevor mir noch Unheil droht.
Ich blicke zu Torsten – er quittiert das Geschehnis mit einem lässigen Schulterzucken, und wirft den Blick wieder auf das Wasser.
„Was war das denn?“, frage ich mich.
Das ganze Schauspiel hat nur wenige Minuten gedauert. Als ich den Blick wieder auf die Wasseroberfläche richte, stelle ich traurig fest, dass der Fischschwarm und die jagenden Haie sich entfernt haben. Ich kann sie nicht mehr entdecken. Torsten scheint meinen bedröppelten Blick richtig zu interpretieren und erklärt mir, dass die Fische in Richtung Riffkante weitergezogen sind.
Später, als die Sonne untergeht, sitze ich auf der kleinen Terrasse des Bungalows und denke noch mal über das Erlebnis nach.
„Was hat die junge Mutter dazu bewegt, so zu reagieren?“
Als wäre ich für die Anwesenheit der Haie verantwortlich – schön wär’s ja. Ohja, der Haiflüsterer und so… Es dauert eine Weile, bis ich mich selbst an meine Urängste erinnere, die ich mit den Jahren des Tauchens glücklicherweise abgelegt habe – zumindest, was die „Killermaschine“ Hai betrifft.
Filme wie der Weiße Hai haben unsere Urängste genährt
Ja, ich erinnere mich, wie mich der Film „Der weiße Hai“ in jungen Jahren geprägt hatte. Neben dem ersten Alien-Film war es das blutrünstigste Filmspektakel, das mir aus der Zeit in Erinnerung geblieben ist. Nun, Aliens schwimmen nicht in unseren Meeren, aber Haie haben dem Horrorschocker um diesen besonders monströsen und gleichermaßen blutrünstigen Weißen Hai mehr als nur einen schlechten Ruf zu verdanken: Sie wurden und werden heute noch dämonisiert. Menschenfresser und tumbe Killerfische sollen es sein, wahre Fressmaschinen ohne Hirn, die bei der kleinsten Gelegenheit in einen unkontrollierten Blutrausch verfallen.
Die Filme haben die komplette Klaviatur der Urängste bedient und ein so schreckliches Bild des Meeresräubers in uns eingebrannt, dass der Weg zurück zu einem realen Abbild der Haie ein langwieriger und schwerer ist.
Für mich war es letztlich der Weg über das Tauchen, der mich dazu gebracht hat, den Hai zu sehen als das, was er ist. Ein Raubtier des Ozeans, schonungslos und gefühlskalt gegenüber seiner Beute, aber ein scheues, sensibles und gleichzeitig neugieriges Tier, das allem Unbekannten mit gebührlichem Respekt begegnet.
Haie und Verhalten
Graue Riffhaie sind mitunter die scheusten Haie, die ich während meiner Tauchgänge erleben konnte. In sicherem Abstand von mindestens 5 bis 10 Metern passieren sie einzelne Taucher stets auf der Hut vor möglichen Gefahren. Hochseehaie, insbesondere die Einzelgänger darunter, sind oft neugierig. Manchmal schwimmen sie so nah heran, dass einem schon mal mulmig zu Mute werden kann.
Aber auch hier dasselbe Schema: Sie halten eine bestimmte Distanz. Das unbekannte Wesen Mensch weckt zwar ihr Interesse, aber ganz geheuer scheint ihnen bei dem Anblick nicht.
Bei Blauhaien habe ich ähnliche Erfahrungen machen können. Einige darunter sind wagemutiger als andere, die meisten halten aber gebührend Abstand zu den anderen Tauchern und mir. Auffällig scheint, dass der Abstand weit geringer ist als beispielsweise bei grauen Riffhaien. Selten kommt es zu einer ganz nahen Begegnung, noch seltener zu sogenannten Remplern.
Der Hai ist ein wildes Raubtier
Trotz aller Bewunderung für das elegante Tier: Es ist ein wildes Raubtier. Wer sich beim Tauchen in die Gesellschaft von Haien begibt, setzt sich einer potenziellen Gefahr aus. Wir tauchen im Jagdrevier des Haies und sind auf sein Wohlwollen angewiesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir geduldet oder gemieden werden, ist jedoch sehr hoch.
Und dennoch heißt es dabei achtsam sein und die Umgebung im Auge behalten, nicht dass ein vorwitziger Artgenosse meint, uns von hinten anschwimmen zu können. Nein, bleiben wir lieber Auge in Auge mit dem imposanten Räuber.
Sicher, es passieren Unfälle mit Haien, bei denen Menschen zu Schaden kommen. Ja, sogar tödlich verletzt werden. Ich möchte diesbezüglich auch keine Statistiken bemühen mit irgendwelchen herabfallenden Kokosnüssen oder aggressiven Bienen, die Menschen töten.
Aber die jährlichen Unfallzahlen sprechen für sich. Es sind so wenige, wenn auch die Schicksale einzelner tragisch zu betrachten sind. Aber letztlich begeben wir uns als Mensch freiwillig in weitaus größere Gefahren als der Hai für uns eine darstellen könnte.
Insofern: Vorsicht ja, Panik nein.