Angarosh
Nach dem zweiten Tauchgang, der für uns äußerst zufriedenstellend war, legen wir Tauchkleidung und -Ausrüstung ab. Es dauert nicht mehr lange und – wer hätte es anders erwartet – dann gibt es schon wieder Futter! Nicht weiter erwähnenswert, aber wir alle haben wieder Hunger.
Nachdem auch die Crew gegessen hat, werden die starken Dieselmotoren angeworfen: Die tiefen Vibrationen der Aggregate erschüttern den kompletten Schiffsrumpf. Jetzt heißt es „Leinen los und auf nach Angarosh“.
Bis zur Ankunft geht man an Deck der Leichtigkeit des Nichts-Tuns nach. Lesen, Sonnenbaden oder einfach nur Dösen – alle tun’s, keinen interessiert’s. Die üblichen Gewohnheiten an Bord eines Safariboots wollen gepflegt werden.
Kaum bin ich selbst ein wenig eingedöst, da drosseln die Motoren ihre Fahrt und ein erneutes Rangiermanöver wird eingeleitet. Herrjeh, wir sind angekommen. Da gilt es mal langsam wieder klar zu werden. Sicherlich erfolgt in Kürze ein weiteres Briefing. Nebenbei erwartet uns auch eine raue See: Der Wind hat aufgefrischt und schiebt die Wellen gegen das Riff. Die Brecher färben das Wasser im Bereich, wo Luft und Wasser verwirbeln, zur Farbe von grünem Milchglas.
Sieht recht turbulent aus, doch offensichtlich kein Problem – denn der Tauchgang findet statt… alles bestens!
Insgeheim lächeln wir uns gekonnt die Sorgen bezüglich der Turbulenz des Oberflächenwassers weg. Man(n) gibt sich betont männlich, Frau übrigens auch. Beim Tauchen kennt man keine Ängste.
Glücklicherweise waren diese auch unangebracht beziehungsweise haben sich nicht bestätigt. Wenige Meter unter Wasser bekommt man von dem Trubel an der Wasseroberfläche nichts mehr mit.
Wir wenden den Blick ab von der schäumenden Dünung und blicken auf das abfallende Riff unter uns. Wir halten uns nicht lange mit Details auf, denn wir halten Ausschau nach Hammerhaien. So halten wir zielsicher auf das Blauwasser zu, denn, so war uns im Briefing versichert worden, hier sollen sich die versprochenen Hammerhaie in größeren Schulen aufhalten.
Feinfeinfein! Die Spannung steigt, wir sind noch aufgeregter als sonst und ungeahnte Kräfte beflügeln uns, das hohe Tempo, das der Guide vorlegt, aufrecht zu halten. Der Boden unter uns sinkt weiter ab und es fällt mir nicht ganz leicht, mich vertikal zu orientieren. Ständig blicke ich auf den Tiefenmesser, um eine möglichst konstante vertikale Position zu halten. Und so entgeht mir zunächst das Schauspiel, das sich vor unseren Augen abspielt.
Erst als ich sehe, dass die anderen Taucher unserer Gruppe ihre Position verlassen, blicke ich auf und versuche, dem Grund der allgemeinen Aufregung auf die Spur zu kommen.
Warum nochmal waren wir hier? Ach, richtig… Hammerhaie…
Ich brauche nur nach vorne zu schauen, dann fällt es mir sprichwörtlich wie Schuppen von den Augen. Etwa 20 Meter vor mir sehen ich ein Hammerhaiweibchen, dessen Konturen sich vor dem dunkleren Hintergrund ausmachen. Die fehlenden Klasper (paarweise angeordnete männliche Geschlechtsorgane der Haie und Rochen) schließen eine Verwechslung aus.
Ich versuche näher heran zu kommen, doch sobald ich ein paar Meter überwinde, geht der Hai durch minimale Änderung der Stellung von Brust- und Schwanzflosse auf Distanz. Ein gutes Close-up wird mir wohl nicht gelingen. Aber ich lasse den Fotografen in mir links liegen und genieße die Eindrücke. Beim Umsehen fallen mir im Hintergrund noch weitere Hammerhaie auf. Tatsächlich scheint eine kleine Schule zusammengekommen zu sein. Später schätzen wir deren Stärke auf rund 30 Tiere ein.
Eins dürfte sicher sein: Bei allen anwesenden Tauchern dürfte sich spätestens jetzt, Schnappatmung eingestellt haben.
Und dann verschwinden die Tiere wieder im tiefen Blau des Ozeans. Und auch für uns ist es Zeit, wieder den Weg zurück zum Riff zu nehmen.
Warum wir zu Beginn des Tauchgangs ein so hohes Tempo aufrechterhalten konnten, wird mir beim Weg zurück zum Riff klar. Wir hatten „Rückenwind“. Die Strömung, gegen die wir nun ankämpfen müssen, macht mir mit meinem Kameragerödel gehörig zu schaffen.
Trotz aller Anstrengungen komme ich nur mühsam voran und der Blick auf meine Luftreserven stimmt mich alles andere als optimistisch. 60 Bar Restluft und noch jede Menge Strecke bis zum Riff. Und das bei einer Tiefe von immer noch 24 Metern.
Mist. Mein Buddy, die alte Sportskanone macht gehörig Strecke vor mir und ich verliere zusehends den Anschluss.
Ruhig bleiben, jetzt bloß keine Hektik aufkommen lassen.
Schließlich erreiche ich abgeschlagen das Ziel: Das Riff bietet mir wieder Orientierung und die Strömung verliert hier an dem natürlichen Hindernis ihre Intensität. Nachdem wir uns von der Anstrengung erholt haben, tauchen wir ins flache Wasser auf, um meine schwindenden Luftreserven schonen zu können.
Nachdem die Anspannung vorbei ist, kehren die unbeschreiblichen Eindrücke wieder: Hammerhaie, das Ziel unserer Reise – CHECK! Auch wenn uns dieses Ereignis verwehrt geblieben wäre, hätte sich jeder Tauchgang bisher gelohnt. Und dennoch war es unser sehnlichster Wunsch, Hammerhaie zu sehen und unser Wunschtraum ist nun wahr geworden.
Anekdote an Bord
Dass das Glück einem nicht immer hold ist, wird uns erst klar, als wieder zurück an Deck sind. Während wir uns unserer Tauchausrüstung entledigen, kommen wir mit anderen Teilnehmern unserer Safari ins Gespräch. Eine italienische Gruppe war kurz vor uns ins Wasser gegangen. Filippo aus besagter Gruppe fragt mich, ob wir „martelli“ gesehen hätten. Mein euphorisierter Geist braucht einen Moment, um auf die Sprünge zu kommen, Filippo hilft nach: „hammerheads?“.
Das Strahlen der Erleuchtung ermächtigt sich meiner Gesichtszüge und debil grinsend nicke ich wie von mechanisch. „Yes, we saw them“, bestätige ich ihm unsere Hammerhai-Sichtung. Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Impossibile„, beharrt Filippo und ich muss Stein und Bein schwören, bis er mir schließlich Glauben schenkt. Wir dürften der italienischen Gruppe nichts davon erzählen, sagt er mit einem Augenzwinkern, sie würden sterben vor Eifersucht. Sie hätten nur graue Riffhaie gesehen, aber keine „martelli“.
Ebenfalls mit einem Augenzwinkern gebe ich ihm mein Versprechen, über das Erlebte Stillschweigen zu wahren. Einerseits bin ich ein wenig irritiert, inwieweit die Aussage Filippos ernst zu nehmen ist, andererseits auch ein wenig amüsiert.
Das Gespräch mit Filippo bringt uns der italienischen Gruppe näher, was zur Folge hat, dass wir zu dem Vergnügen gelangen, eine nachmittägliche Vesper vom Feinsten verkosten zu dürfen. Die Gruppe hat, wie schon eingangs erwähnt, allerlei unentbehrliche Spezialitäten ihrer Heimat mit in den Sudan „geschmuggelt“. Geschmuggelt deswegen, weil allein schon das Einführen von Schweinefleisch in ein streng muslimisches Land sicher problematisch sein könnte.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Verpflegung ohnehin vorzüglich ist, erscheint mir die Tatsache bedingt nachvollziehbar. Die Qualität der dargebotenen Antipasti lässt aber über die Absichten der Italiener keinen Zweifel aufkommen: Vom Feinsten, da kann die Bordkombüse nur schwer mithalten. Mortadella, Parmiggiano, Wildschweinschinken, eingelegte Oliven und weitere Delikatessen lässt die Feinschmeckerherzen höher schlagen.
So lässt sich der ideal ausklingen, auch wenn für den Abend kein Nachttauchgang geplant ist. Die Witterungsverhältnisse sind immer noch ein wenig zu rau, daher wird die Sicherheit der Taucher dem Vergnügen vorgezogen. Für morgen sind noch zwei Tauchgänge für den Vormittag bei Angarosh geplant. Insofern stört es nicht, dass es heute Abend nicht nochmal ins Wasser für uns geht.
Die beiden folgenden Tauchgänge am nächsten Morgen können sich auch insgesamt sehen lassen, auch wenn wir keine Schule Hammerhaie mehr sehen. Wie bisher an allen Tauchspots im Sudan, ist die Artenvielfalt fantastisch. Wir sehen tatsächlich beim zweiten Tauchgang noch ein paar Hammerhaie, aber diesmal sind es nur wenige Tiere, von denen wir nur einen kurzen Blick in der Ferne erhaschen können.
Aber wir sind mehr als zufrieden und schließen das Buch mit der Aufschrift „Angarosh“ begeistert zu und nehmen noch vor dem Mittagessen des Tages Kurs auf Qita el Banna auf.